Dennis Brown “Tracks Of Life (King Jammy Presents)” (Greensleeves)

Dennis Brown
“Tracks Of Life (King Jammy Presents)”
(Greensleeves – 2018)

Dennis Browns Werk zu gedenken passiert immer wieder. DJs spielen seine Tracks, Sänger/innen covern seine Songs. Auf “We Remember Dennis Brown” taten sie es kollektiv. Samples sind eine weitere Form des Übertragens seiner Musik in die Jetztzeit.

Auf “Tracks For Life” ist nun eine interessante Zwischenform gefunden, halb covern, halb Samples nutzen. Oder ein bisschen so, wie der Text des Labels für die Presse sagt:

“Part tribute and part greatest hits”

Denn Dennis Brown ertönt hier Seite an Seite mit den jamaikanischen Acts der Jetztzeit. Ausgewählt sind vielleicht nicht die “größten” oder besten Hits, aber: Es sind solche Songs dabei, die genauso sind wie man sich Dennis Brown vorstellt, und solche, die etwas mehr auf rauen Dancehall gebürstet sind. Die gebändigten, ruhigeren Tunes gefallen mir besser.

Schön ist die Auswahl des Personals. Denn gerade von denjenigen Personen, die jetzt im Begriffe sind international durchzustarten, sind etliche an Bord: Jesse Royal, Aza Lineage, Dre Island, Romain Virgo. Tribute-Alben sind immer eine Chance, der Jugend das Werk Altehrwürdiger durch die Brille junger Musiker/innen nahe zu bringen. Sie sind aber auch eine Gelegenheit, neuen Artists eine Bühne zum Darstellen ihrer Talente zu bieten.

Ein besonderes Spitzenwerk kam jedoch leider nicht bei der reizvollen Idee heraus. Aufmerksamkeit auf ein paar gelungene Tunes verdient diese Compilation dennoch. Gut, es ist keine Compilation im klassischen Sinne, weil die Aufnahmen für diesen Zweck erst angefertigt wurden. In etwa heißt das: Auf die Master-Bänder, die King Jammy zwischen 1978 und 1993 mit Dennis Brown produziert hat, legte er neue Gesangsspuren. Ein paar Infos für die ‘Insider’: Sly & Robbie sind auf einigen der Tracks damals mit im Studio gewesen, Dean Fraser am Saxophon (wooohooo!) und eine Background-Sängerin ‘far above the standard’, Shereeda Sharpe.

Dennis Brown X King Jammy – Picture: Tim O’Sullivan

Gerade bei Protoje meine ich, dass er ein “Auftragswerk” (“High Grade Morning”) abgeliefert hat. Ein Song kursierte bisher so nicht und ist für Sammler hochinteressant, “Satisfy My Soul” – der Würde des Altmeisters geschuldet, ist dieser Song natürlich ohne Gast enthalten. Warum dieser Song wohl nie erschien? Ich finde, er ist kein Reggae-Song, zitiert dagegen die Handschrift von Bill Withers und Donny Hathaway, also richtig tiefen Soul.

Aza Lineage als zu beachtende Newcomerin fiel mir schon auf “Havana Meets Kingston” mit ihren beiden Gastbeiträgen auf. Hier entfaltet sie in honigwarmer Stimme den Flair der Siebziger Jahre: Roots Reggae war etwas Neues, Ausdruck der
“befreiten” Karibikbevölkerung, inspiriert vom US-Soul und R&B. Dass Reggae viel Soul im Beat hat, beweist zudem der Tune “Give Love A Try” mit dem noch unbekannten Durchstarter Projexx, einem jungen Jamaikaner mit einer sympathischen, hellen Stimme. Auch Romain Virgos entspannte Stimmführung durch das nicht ganz einfach singbare “Run The Track” versöhnt Vintage-Digital-Dancehall-Beats mit warmem, liebevollem Gesang.

Immer dann, wenn versucht wird, Riddim-Dancehall unserer Tage aus dem Songmaterial zu machen, gleitet entweder die Tonqualität ab – zumindest im MP3, wobei auch das heute einen gewissen Standard aushalten können sollte.

Oder, was ab und zu unterläuft, die Gaststimmen wirken auf den jeweiligen Song aufgepappt. Bei Protoje passiert das zum Glück nicht, und er liefert eines der aufgeräumtesten Stücke der letzten Jahre unter all seinen Mixtape-, Featuring- und Album-Songs ab. War doch manches von ihm wie “Flames”, “Can’t Feel No Way” oder “Glad You’re Home” verspielt und voller kleiner Soundkurven und -kniffe (Tricks), und war “Blood Money” verwaschen in der Musik und höchst vertrackt und anspruchsvoll im Text und im Video, so stellt Protoje hier nach Langem den Spaß am Singen in den Vordergrund.

Eine Parallele zu seinem “Royalty Free”-Mixtape gibt’s in dem Sinne, dass er die ’70er Jahre zitiert. Demnach ist er nicht nur Hiphop-sozialisiert, wie zu Anfang seiner Karriere oft berichtet wurde, sondern auch mit Funk & Disco der späten Siebziger vertraut, und eben auch mit der Klangfarbe von Dennis Brown.

Sehr frisch kommt der Beitrag von Jesse Royal herüber. Mit Vintage-Effekt in den Bässen und Augenzwinkern im Gesang entwickelt sich “The Magic Touch” zu einem ausdrucksstarken Lovers Rock Tune. Das Faszinierende: Der 29-Jährige klingt viel charismatischer als der “Crown Prince” des Reggae, Dennis Brown (wie Bob Marley Letzteren mal nannte).

Viele andere Contributions misslingen ziemlich, zum Beispiel ist die von Agent Sasco etwas langweilig, und was Alborosie und dann auch Triston Palma abliefern, klingt so unerträglich, dass ich es jeweils nach drei Minuten abbreche. (Alborosie mag ich leider sowieso nicht, bin da also nicht objektiv – Triston Palma sehr – jedenfalls wirken diese beiden Songbasteleien schwerfällig und ziehen sich in die Länge.)

Dennis Brown wäre übrigens, wenn er noch leben würde, noch gar nicht so alt. Er fing ja als Teenager an Platten zu veröffentlichen. Heute wäre er 61 Jahre alt, also in einer Altersklasse mit Beres Hammond oder Barrington Levy, die ja auch immer wieder Referenzwerke abliefern (Beres Hammonds nächstes Album erscheint am 12.10.18, Barrington Levys “Acousticalevy” war gewiss eines der besonderen Alben dieses Jahrzehnts (Mai 2015)).

Dennis Brown – Picture: Tim O’Sullivan

Zwei interessante Randnotizen vom Ende des Albums: Josey Wales, Zeitgenosse von Dennis Brown, macht nach zwei Jahrzehnten Pause wieder neue Aufnahmen, und seine Stimme klingt dabei Shaggy zum Verwechseln ähnlich. Und das Medley “Dancer Of The Night / No No No”, das so unvereinbare Personen wie Bounty Killer und Dawn Penn verbindet, ist zwar ein frecher Schlusstrack von King Jammy (vor allem wenn er ‘meine’ verehrte Dawn Penn mit dem Slack Lyricist Bounty Killer vermischt), dennoch ein wirklich famoses Meisterstück der DJ-Culture und absolut unterhaltsam in jeder Sekunde.

Viel wesentlicher als alles, was auf diesem Album ist, sind für mich die Zukunftsfragen:

  • Wann bringt Tochter Marla ihr Debütalbum auf den Markt?
  • Und wann sehen wir Neffe Autarchii, einen der begabtesten Roots-Komponisten unserer Zeit, mal live in Deutschland?

Und schon bin ich durch das Review durch, ohne auch nur einmal den Routineauftritt von Damian Marley erwähnt zu haben 😉

Philipp Kause

PS: Die Tracklistings auf CD und Vinyl weichen stark voneinander ab, hier die Listen:

CD-Version:

1. Can’t Keep feat. Damian “Jr. Gong” Marley
2. High Grade Morning feat. Protoje
3. Gun Town feat. Dre Island
4. Wash Dem Away feat. Agent Sasco
5. Love And Live feat. Alborosie
6. Back To Africa feat. DYCR & Tristan Palma
7. Give Love A Try feat. Projexx
8. Real Love feat. Aza Lineage
9. Run The Track feat. Romain Virgo
10. The Magic Touch feat. Jesse Royal
11. You Satisfy My Soul
12. How Long feat. Josey Wales
13. Build A Dream feat. Baby G
14. The Genie Rub A Dub feat. Busy Signal
15. Dancer Of The Night / No No No (Medley) feat. Dawn Penn & Bounty Killer

LP-Version:

A1. High Grade Morning feat. Protoje
A2. Gun Town feat. Dre Island
A3. Wash Dem Away feat. Agent Sasco
A4. Love And Live feat. Alborosie
A5. Back To Africa feat. DYCR & Tristan Palma
B1. Give Love A Try feat. Projexx
B2. Real Love feat. Aza Lineage
B3. Run The Track feat. Romain Virgo
B4. The Magic Touch feat. Jesse Royal
B5. You Satisfy My Soul

Vinyl-Single 7″:

A Can’t Keep feat. Damian “Jr. Gong” Marley
B Can’t Keep (Jammys Version)

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.