Kabaka Pyramid
“Kontraband”
(Ghetto Youths International, Bebble Rock – 2018)
Der Einstiegssong – vielversprechend! Doch einige Faktoren haben dem Rezensenten vor der Veröffentlichung bereits das Signal gegeben: Das wird wohl kein großer Wurf!
“Make Way” lebt von einem Künstler, den ich bisher völlig unterschätzt habe: Kabakas erstem Gast, Pressure Busspipe! Bereits der zweite Track rauscht hingegen in die Beliebigkeit ab. Sein “Hugh!” hat Kabaka als Markenzeichen beibehalten, bekannt z.B. aus “Liberal Opposer”. “Hugh!” Auch das “Oh woh oh ouw” kommt noch mit Schwung. Die Intonation ist dann, als der Text kommt, gehetzt. Mit Rapper-Gestus wird sehr viel Text sehr monoton vorgetragen. Meine Eltern sagen immer, Reggae sei Sprechgesang. Bisher habe ich ihnen widersprochen. Bei diesem Album kann ich das nicht mehr. Ich fand es bisher cool, dass Kabaka, Strawl, Protoje, Eesah, Royal Blu, Leno Banton etc. diesen Hiphop-affinen Weg gehen. Hier ist es aber nur noch heruntergespult. Hiphop ist nicht nur Rappen mit Melodie, es wäre denn auch Scratchen und vieles mehr. “Hugh!”
Die Spuren von Damian Jr. Gong Marley
Für Hiphop ist es sowieso noch zu poppig, dieses zweite Lied “My Time”. Kabaka hat einen großen Namen in der Szene inzwischen. Aber ehrlich, sowas macht ein Rassi Hardknocks mindestens genauso gut, wenn nicht besser. Ein Amlak Redsquare macht es drei Mal besser als Kabaka hier. Doppelt so gut, weil motivierter, mit mehr Elan und Biss. Drei Mal so gut, weil mit schärferen Texten und mehr Spielraum in der Stimme.
Ich mag Kabaka persönlich sehr, habe ihn schon getroffen und ein angenehmes Gespräch mit ihm geführt. Viele, die ich kenne, die Kabaka kennen, sagen: Mit ihm kann man tief gehende Gespräche führen. Oder: Er ist sehr, sehr nett. Oder: Er ist authentisch geblieben. Oder: Er macht wirklich noch Roots Reggae, während andere nur noch auf den Kommerz zusteuern. Was ich nicht machen werde, ist ihm jetzt zu huldigen und alles toll zu finden. Echte Freunde kritisieren ehrlich, so ist meine Meinung. Alles andere wäre sowieso “hypocrite” (scheinheilig).
Was man zum Beispiel nüchtern sagen muss: Kabaka hat Probleme beim Einatmen und schnappt wiederholt nach Luft. Entweder hilft Gesangsunterricht oder etwas weniger Text oder ein besserer Produzent.
Weiter zu Track 3: Titellied “Kontraband”, Damian Marley als Gast. Intro: ein Loop. 3 x 2 x dieselbe Kadenz, derselbe Ruf der Urwaldkrieger. Der “Junior Gong” hat das Album gemäß Info auch produziert. Dieser Track 3 ist ein Drogensong. Trotz des süßen Funk-Fiepens skippe ich ihn zwischendrin aus Genervtheit weg. Kabaka hat erneut Schwierigkeit das Mikrofon zu verteidigen, dieses Mal nicht aus Atemnot, sondern weil ihm Marley die Show stiehlt und sich in den Vordergrund mischen lässt.
Dass danach “Can’t Breathe” und “Well Done” folgen, ist ‘ne Vollpanne. Recycling-Prinzip. “Well Done” ist ein schönes Lied, wenn man die Beats wegnimmt. Ich mochte es bei den Kabaka-Konzerten immer; die Studiofassung finde ich hingegen platt produziert, kein Wunder, ist ja nur ein Riddim (der “On The Corner Riddim”, natürlich auch von Damian). Dass das Ganze auch kreativer geht, haben die Kollegen von United Reggae TV bereits vor drei Jahren und drei Monaten gezeigt. Das Lied ist schließlich schon älter:
Pop, Pop, Pop around the clock
“Can’t Breathe” ist eines der politischsten Lieder Jamaikas der letzten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Ein sehr wichtiger Tune. Allerdings ist es nicht ganz das beste Rezept, ein Album mit alten Songs vollzupacken. In Track 6 sind wir bei “Reggae Music”. Cooler Titel. Einfallsreich! Ich glaube, ich schreibe ab morgen auch Reggae-Songs. Der Song ist völlig austauschbar, lehnt sich etwas an den alten Spragga Benz an, aber (leider?) nur etwas. Die Hüpfbeats von Damian kombiniert mit dem “Skibillidong” als Dauer-Füllsel, eine Hymne an DJs, “Hey Mister DJ! Play that one again!” Nein, wenn ich der DJ bin, spiele ich diesen Song nicht “again”. Der “Lord” soll zwischendurch “Mercy” haben. Platter Text, anstrengender Riddim, jedoch ein cooles Outro.
Als wäre das noch nicht genug gewesen, setzt “Kaught Up” einen drauf. Ok, wir zählen mal mit: Vierter Song, den es schon als Vorab-Single gegeben hat. Den Song habe ich extra schon mal besprochen. Plastik-R’n’B mit Schepper-Hi Hats. Geht als Single. Alben sollten den Hauch der Zeitlosigkeit haben, finde ich. Aber glaube bitte keiner, dass dieses Liedchen in ein paar Jahren noch jemand hören will. Wenn Kabaka so weiter macht, hat er bis dahin seinen Ruf sowieso verspielt.
Auf Track 8, “Lyrics Deity” ist Kabaka wieder der alte Reimvirtuose. Klingt nicht spannend, aber flüssig.
Auf der Suche nach Afrika und nach dem Sinn des Lebens
Die weitere (mitgezählt: fünfte) Vorab-Single “Borders” zusammen mit Stonebwoy ist die Einlösung eines alten Wunsches: Kabaka wollte afrikanische Musikelemente aufnehmen und mit Artists aus Afrika ins Studio. Stonebwoy? – Sehr gute Wahl! Der Song ist rhythmisch etwas stolpernd, gewöhnungsbedürftig, ab dem dritten Hören aber dann auch eingängig. Extra besprochen hier.
Stonebwoy kommt zum Summerjam nach Köln auch live am ersten Juli-Wochenende. Auf seinem Doppelalbum “Epistles Of Mama” ist Kabaka auf einem weiteren Song zu Gast.
Zum Thema Afrika ist dann auch Akon an Bord: Track 10. Die Anordnung, in welcher Reihenfolge die Songs hier drauf sind, ergibt durchaus Sinn. Die politischen Songs im Cluster, die Afrika-Songs gebündelt. Akon stammt aus dem US-Staat Missouri. Ob ihn das besonders qualifiziert, über Westafrikaner*innen so sehr viele Aussagen zu treffen? Das Lied ist ein bisschen sorgsamer als andere auf “Kontraband” und mit einem Fokus aufs Akustische produziert. Mir gefällt’s super. Für ein Album, über das man in drei, vier Jahren noch sprechen wird, das zur Referenz wird, ist es dennoch eine dünne Klangsuppe mit einem nicht so ganz besonders neuartigen Text.
Was ist der Sinn des Lebens? – Antwort: “Skibillidong!” Beziehungsweise, das war nur der Fülltext, um die Spannung zu erhöhen. Also nochmal, Track 11, pull up: Was ist der Sinn des Lebens? Ich kann es euch nicht beantworten. Ich weiß gar nicht, ob Kabaka im Song eine Antwort gibt. Der Titel hat etwas Depressives, das mich aus irgendeinem Grund an den Bluesrapper Everlast erinnert. Es fällt mir schwer, zuzuhören.
Nachdem also auch “Meaning Of Life” bei mir durchgefallen ist, tapfer weiter mit Track 10: Jetzt fehlen noch die üblichen Gäste, also hier Protoje, proudly presented by Kabaka Pyramid!
Kranke Umwelt – “Everywhere I Go”, musikalisch langweilig, textlich auch, aber zumindest ehrlich
Egal, wo sie hingehen, sehen sie Umweltverschmutzung. Die Welt, die sie mal kannten, finden sie nicht mehr. In “Blood Money” hat Protoje das vor anderthalb Jahren schon einmal näher ausgeführt: Jamaika hat ein ernsthaftes Müllproblem, gewissermaßen private Müllkippen, die aber gegen entsprechende Schmiergelder geduldet werden. Grausamerweise befinden sie sich in der Nähe von Wohngegenden der wenig begüterten Bevölkerungsschichten. Die können a) nichts Wirkungsvolles dagegen unternehmen, b) nicht weiter in die Stadt hineinziehen, c) finden auf ländlicheren Gebieten erst recht keine Jobs. Als krasses Beispiel nennt Protoje in “Blood Money” den River Dunn. Dieser Fluss nimmt stellenweise viel Gift bzw. Verbrennungsrückstände auf. Während ich so darüber nachdenke, ist Track 10 unbemerkt vorbei gegangen. War auch kein wirklich charismatisches Lied.
Ausgerechnet das Feature von Chronixx ist der komplexeste Song des Albums!
Nächster Gast. Wie in der Muppet Show poppt die nächste Figur von links auf: Chronixx ist die nächste Tonspur. Ob der bei seiner momentanen Hype-Größe noch Zeit für einen Studiobesuch hatte?
Das Ergebnis der Chronixx-Kollabo, “Blessed Is The Man”, ist auf jeden Fall das von mir herbeigewünschte besondere Stück! Ein Stück locker gebauten Gospel-Reggaes mit einem harten Grundbeat, bei dem sich der Text über schönen kleinen Special Effects in den ersten 1:30 Minuten abregnen kann. Danach nimmt der Song im Chorus und im Outro verträumt-verwaschene Konturen an. Diese Wechsel von hart zu weich-schwammig sind sehr geschickt und kompositorisch auch etwas Neues.
Dass es in dem Song um Haile Selassie geht, ist weit mehr als Zitat-Gelaber. Kabaka ist in puncto Geschichte Afrikas recht belesen und weiß, was er da singt. Die letzte Minute des Songs ist wirklich so schön verträumt, dass von Mercury Rev über Midnite/Vaughn Benjamin noch einige davon lernen können.
Noch ein Detail: Bei Minute 3:28 bis 3:38 wurde irgendwo gesampelt, entweder bei Kabaka & Irie Souljah “Inna Di Mood” (2015) oder bei Chronixx & Chronicle “Big Bad Sound” (2017), oder bei beiden. Passt hier gut!
08/15 auf Track 14, Wiz Khalifa-Style auf Track 15
Es folgt “Natural Woman” (kein Carole King-Cover!, aber letzteres wäre wohl besser gewesen): Ehrlich, es gibt so viel gute Musik, ich brauche die Zeit für etwas anderes; habe ich nach 1 Minute 11 Sekunden ausgemacht, “Going out steppin’ out inna di street, just going out, natural beauty, what you teach me about?” Ein Song darüber, dass Weiß und Schwarz in einer mixed-up-world gleichermaßen schön sein sollten, dass Schönheit von innen kommt und man den Kindern Selbstbewusstsein und Eigenliebe beibringen muss. Die Musik klingt seifig.
Auf Track 15, “I’m Just A Man” ist dunkler, herbstlicher Hiphop & Neo-Soul zurück, gespickt mit Samples und Melancholie, der stimmungsmäßig und rhythmisch aus dem Marvin-Gaye-Erykah-Badu-Wiz-Khalifa-Kosmos schöpft. Dieser Song ist für mich der beste auf dem Album! Das Warten hat sich gelohnt.
Eingespieltes Team: Nattali & Kabaka
Den Abschluss bereitet ein Duett mit Nattali Rize. Ohne zur Qualität (okay, mittel, etwas langweilig in Kabakas Parts, Nattali allerdings gut drauf) allzu viel sagen, zitiere ich abschließend Nattali zur Frage, wie sie auf Kabaka als Duettpartner auf ihrem Album kam. Nattali musste bei der Frage erst mal lachen – und dann:
“Sometimes, you know, we write a song, and then, try and think of, who’s vocal quality, tone, the right energy, the right level of consciousness for that particular track would work and serve the song the best. Usually, that’s how we do it. And for me – I’m a fan of all of these artists that you know of. I’m a fan, I listen to a lot of different music. So, when I hear a song, and I think: Wow, Kabaka would be great on this … Actually, the song we did together, “Generations Will Rize”, I was trying to think for a guest for a while. And then I saw Kabaka play for the first time – oh, this is the guy! Actually, we have songs together because we can write songs quick and we have a good vibe, and he’s a very conscious artist that I’m a fan of as well. Just saw him at a show in Kingston.”
Philipp Kause