Roots Radics
„12 Inches of Dub“
(Greensleeves Records – 2019)
Es ging Schlag auf Schlag. Als Ende der 70er klar wurde, dass es kein Schiff, kein Black Star Liner, geben wird, der sie nach Afrika zurückbringen würde, stellte sich Ernüchterung ein. Das Revolutionäre und Idealistische wich allmählich der Realität. Und während sich der Rest der Welt anschickte, in dem kommenden Jahrzehnt den Synth-Pop und Yacht-Rock über sich ergehen zu lassen, entdeckte man in Jamaika mit dem neuen Rub-A-Dub und Dancehall Sound das musikalische Pendant von Pistolenschüssen.
Die deutlich verlangsamten Rhythmen der Drums durchbrachen nun automatisch die Schallmauer und zielten direkt in die Magengrube. Und deren Widerhall wurde so schneidig, dass man sich davor runter ducken musste. Es ging nicht mehr ums Geistliche, sondern ums rein Körperliche. Die Musik selbst wurde körperlicher. Die tiefsten Bässe überhaupt, die stärksten Drums waren nun angesagt – die jamaikanische body-music, als Nachfolger der vorherigen brain-food-music, wurde geboren.
Bühne frei für General Echo. Der damalige Nachwuchs-Dj bediente als einer der ersten diesen neuen Bedarf an Slackness-Lyrics, auch wenn ihm ab und zu einige hervorragende Roots-Tunes „ausrutschten“. Ohne Zweifel hätten ihm die 80er gehört, wäre er nicht am 22. November 1980 bei einer Polizeikontrolle, unter ungeklärten Umständen, niedergeschossen worden. Es ging nicht mehr um bloße Anspielungen – man sprach nun Klartext, frei nach dem Moto: wir ficken und schießen uns in den Abgrund.
„12 Inches of Pleasure“ hieß dann auch sein Album, den er zusammen mit Roots Radics für Produzenten ‚Junjo‘ Lawes einspielte, und damals vom jungen Overton Brown alias Scientist abgemischt wurde. Es wurde nun Tacheles gesprochen – sowohl textlich, als auch musikalisch. Die, die den 70ern noch immer nachhingen, konnten mit so einem Porno-Album nichts anfangen. Aber der Sound, der Mix, der so frisch, neu und aufregend klang, hatte es in sich. Eine Dub-Version des Albums musste her. Nur, die gab es nicht. Oder zumindest dachte man so bis jetzt.
Wahrscheinlich in irgendeinem verstaubten Archiv wiederentdeckt, tauchte zum Record Store Day 2019 das „12 Inches of Dub“ auf. Und womöglich würde das Werk zu den frühen Kult-Alben von Dub-Master Scientist zählen, wäre es damals 1980 gleich erschienen. Die typischen Riddims, die mittlerweile „klassisch“ genannt werden, waren damals neu; die schleppenden aber massiven Beats, die den berüchtigten Sound von Junjo-Produktionen in den 80ern prägen werden, sind hier schon alle zu bestaunen.
Der Scientist wirkt hier unverbraucht, mit neuartigen Ideen. Es ist, als würde man mitten in einem, in sich zusammenfallenden Haus stehen und das Geschehen in Zeitlupe beobachten. Die im Offbeat peitschenden Drums knallen von allen Seiten runter. Die verschiedenen Instrumenten fliegen wie Fetzen durch die Luft. Die Wucht ist deutlich spürbar. Genauso trifft man hier auf einige Techniken und Vorgehensweisen, die das Ausnahmetalent und King Tubby-Protege später immer wieder benützen und verfeinern wird. Es ist wie eine, aus einer Zeitkapsel entnommene Momentaufnahme eines Sounds, der sich gerade im Wandel befunden hat. Obendrein dazu, passend zur heute neuentdeckten Prüderie, ohne die lasterhaften Lyrics!
Zvjezdan Markovic
Greetings Zvjezdan,
meine Oma selig sagte immer, “wer weiß wofür es gut ist/war”.
Das war vielleicht ganz gut so, dass der Dub-Mix von Scientist (versehentlich?!) in der Versenkung verschwunden ist und nicht 1980/81 veröffentlicht wurde. Bei der Flut an Veröffentlichungen, die Junjo Lawes damals über den geneigten Reggae-/Dubfan gekippt hat, wäre das Album möglicherweise in der Bedeutungslosigkeit versunken. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass meine Freunde und ich irgendwann dermaßen mit Junjo Lawes Produktionen gesättigt waren, dass wir uns richtig freuten, wenn mal ein anderer Produzent hinten auf dem Cover stand. Außerdem waren die Riddims der Roots Radics doch sehr ähnlich, dass irgendwann auch die Luft raus und das Gefühl des Neuen, Ungehörten weg war. Heute freuen wir uns wieder, wenn solch ein verschollener Klassiker endlich veröffentlicht wird.
Kleine Anekdote am Rande:
Meine damalige Freundin und ich haben die Roots Radics Anfang der 80er in Amsterdams Melkweg oder Paradiso gesehen. Flabba Holts Bass und Style Scotts BassDrums waren so heftig, dass es meiner Freundin richtig schlecht wurde. Es ist tatsächlich nicht übertrieben, dass man bei jedem Bass oder Drum Anschlag das Gefühl hatte, man bekäme einen Tritt in die Magengrube. Ich musste dann leider dieses Wahnsinnskonzert alleine zu Ende verfolgen. Solchen Bass & Drum habe ich später bei keinem Reggaekonzert mehr erlebt. Unglaublich!
Habe mir gerade General Echos “12 Inches of Pleasure” (12 inches = 30,5 cm ” me-know-everything-about-she-pum-pum” – haha, do you really? Die Frau will ich sehen, die da noch Spaß hat!?!) nach sehr, sehr langer Zeit nochmal angehört und musste dann doch wegen der Texte ungläubig den Kopf schütteln. Junge, Junge, für so etwas brauchst du einen Waffenschein von wegen Big Bamboo ;-))))
Slackness eben und das war damals neu im Reggae.
Frank Zappa (RIP) war da schon seeehr viel früher dran.
Scientists Dubs sind logischerweise noch frisch und toll wie fast alle seine Dubs aus Anfang der 80er. Das steht aber alles oben, dem muss ich auch nichts mehr hinzufügen.
Ha Ha! Gruß Ras!
Gute Geschichte – und immer gut, durch einen Zeit- und Augenzeugen alles bestätigt zu bekommen. Danke!