Vin Gordon
„African Shores“
(Tradition Disc – 2019)
Irgendetwas haben die alle mit der Natur. Augustus Pablo, der Melodika-Virtuoso saß auf dem Cover seines Instrumental-Albums „King David’s Melody“ vertieft in seinem Instrumenten und umgeben vom dichten Wald. Genauso wie der Saxophon-Maestro Cedric Im Brooks auf dem Cover von „United Africa“ an einer Dschungellichtung seinen Blick wehmütig in die Ferne schweifen ließ. Sie alle gehörten mit ihren Talenten zum harten Kern der Reggae-Bewegung in den 70ern. Zu denen zählte auch der begnadete Posaunist Vin Gordon, der auf dem Titel seines neuesten Albums den Urwald mit seiner Posaune beschallt.
Aus der zweiten Reihe hat er all die Größen wie Bob Marley oder Burning Spear begleitet. Doch seine Heimband waren die legendären Skatalites und im Studio One wirkte er an vielen wegweisenden Alben mit, wo sein eigentümlicher und impulsiver, stark an Jazz angelehnter Spielstil in Erscheinung trat. Er diente als Inspirationsquelle und war Vorbild für viele nachfolgende Musiker, so auch für Nat Birchall, den englischen Jazz-Saxophonisten. Ihre erste Kollaboration war das letztjährige Album „Sounds Almighty“, den sie zusammen mit dem Produzenten Alan ‚Breadwinner‘ Redfern aufgenommen haben. In ihrer neuen Zusammenarbeit wurde Vin Gordon eine noch prominentere Rolle zuteil.
Auf insgesamt neun Tracks seines neuen Albums spielt er nicht, sondern pustet förmlich aus seiner Posaune innerste und tiefste Emotionen raus. Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Mal lässt er die Melodie behutsam am Boden schleifen und mal treibt er sie zum wilden Crescendo. Virtuos und mit sicherer Hand erzählt er komplexe, in Klänge übersetzte, Geschichten. Er zieht und drückt die Melodien zusammen, nur um sie im nächsten Moment wieder in Höhen aufbäumen zu lassen. Alles hat dabei einen unbefangenen, losgelösten Charakter, wie etwas, das sich lange angestaut und nun von der Leine befreit wurde.
In der Tat hat Gordon das gesamte Material in einem Tag eingespielt. Den Rest erledigten Birchall und Breadwinner nahezu im Alleingang. Die Gitarren, Drums, Bässe und Klavier-Parts gehen auf ihre Kappe. Sie vergrößerten lediglich die Bläsersektion mit David Fulwood und Stally. Ihre Rolle dabei könnte am besten als zurückhaltend, aber sehr präsent beschrieben werden. Ihre gut platzierten, listigen Gitarren oder Klavier-Einlässe sorgen für einen ausgewogenen Schwung mit gelegentlichen Jazz und Funk-Ausflügen.
Soundtechnisch könnte man aber bei Breadwinners Produktion und Mix meinen, jemand hätte ein verlorenes Vin Gordon-Album aus den 70ern wieder gefunden, als alles spiritueller und mystischer zu klingen schien und sowohl Musiker als auch Produzenten keine Angst hatten, in Ekstase zu verfallen. Also lassen sie die betäubenden Bässe brummen und die stetig schlagenden Drums mit Echoeffekten hallen so, als hätte es die letzten vierzig Jahre gar nicht gegeben. Ohne jegliche Einbindung von Computern, haben sich die drei in einen so krassen analogen Rausch versetzt, dass sie vermutlich schon den King Tubby gesehen haben.
Zvjezdan Markovic
Hui! Das klingt ja so richtig fein! Danke dir für den Tipp….
Greetings,
wundert euch nicht, wenn ich zwischen Nat Birchall’s “Sounds Almighty” und Vin Gordon’s “African Shores” hin und her springe, denn beide Alben sind untrennbar miteinander verbandelt und im Stil so ähnlich, dass sie auch als DoLP durchgegangen wären.
Beide Alben sind eine Zusammenarbeit mit dem in Manchester ansässigen Dub-Produzenten Al Breadwinner, der die Alben gemeinsam mit dem Jazzer Nat Birchall eingespielt und produziert hat. Stargast bei den Sessions war der erfahrene jamaikanische Posaunist Vin Gordon alias Don D. Jr. Dass Vin Gordon bereits für “Sounds Almighty” von Breadwinner und Birchall in die Band geholt werden konnte, ist sowohl als genialer Coup zu bewerten, als auch ein Indiz für die Wertschätzung, die man Vin Gordon’s Posaunenspiel immer noch entgegenbringt.
Der britische Saxophonist Nat Birchall feiert 2019 als Bandleader sein zwanzigjähriges Bestehen. Sein Spezialgebiet ist eigentlich spiritueller Jazz im Stile von John Coltrane. Seit 1999 veröffentlicht er circa alle zwei Jahre ein Album. Das jüngste war das herausragende „Cosmic Language“ (Jazzman, 2018).
Bevor Nat Birchall Jazzmusiker wurde, war Reggae und ist es auch heute noch seine große Leidenschaft. Er wuchs in den 1970ern auf, Reggae’s Belle Epoque, als der Stil den Ton angab, der als „Conscious Reggae“ bekannt wurde. Birchall unternahm wöchentliche Einkaufstouren von seiner ländlichen Heimat Lancashire im Norden Englands in das nahe gelegene Liverpool, um die neuesten Jamaika Importe in den Fachgeschäften der Stadt zu kaufen. In einem Interview sagte Nat Birchall:“Ich habe mein ganzes Geld für diese Platten ausgegeben und die Leute in meinem Dorf sagten: „Was zum Teufel ist das? Du bist aber schräg drauf!“ Viele der von Birchall gekauften Scheiben hatten Vin Gordon in der Line-up. Der Posaunist schloss sich bereits 1964 den allgegenwärtigen Skatalites an und spielte buchstäblich Hunderte von Sessions während der Ska-, Rocksteady- und Reggae-Ära. Coxsone Dodd’s Studio One war Vin Gordon’s zweites Zuhause.
Für Birchall ebenso prägend war Count Ossie, der Mann, der den typischen Burro- oder Nyahbinghi-Percussionstil entwickelte, den Rastas bei ihren tagelangen Grounations spielen. Leute wie Tommy McCook, Cedric „IM“ Brooks, Roland Alphonso (sax) und Rico Rodriguez (trb) gingen regelmäßig zu diesen Sessions und spielten ihre Instrumente zu den Nyahbinghi-Drums. Rico (Man From Wareika) lebte sogar einige Zeit in Count Ossie’s Camp. Ein wichtiges und exemplarisches Beispiel dieser fabelhaften Grounations in Rockfort nahe Wareika Hill im Osten Kingstons, ist die in nur drei Tagen eingespielte „(Count Ossie & )The Mystic Revelation Of Rastafari – Grounation“ (Ashanti, 1973) Diese dreifach LP ist ein Eckpfeiler sowohl in Birchall’s Plattensammlung als auch seiner Musikwelt. Bei vielen dieser Tracks ist Cedric „IM“ Brooks Arrangeur und am Tenorsaxophon zu hören. Auf dem Meilenstein „Grounation“, der in keiner seriösen Sammlung fehlen sollte, ist der Jazz-Einfluss offenkundig und sprudelt – außer bei den Narrations – aus jeder Rille. Es gibt sogar eine Version des Charles Lloyd-Stückes, „Passin ‚Through“.
Die führenden Saxophonisten dieser Ära, Cedric „IM“ Brooks, Tommy McCook, Roland Alphonso weckten Nat Birchall’s Interesse für dieses Instrument und beeinflussten ihn stark in seinem Entschluss Saxophon zu spielen.
Im Jahr 2018 gründete dann Nat Birchall zusammen mit dem Dub-Produzenten Al Breadwinner „Tradition Disc“. Das Label veröffentlichte das Album „Sounds Almighty“, das auch „Nat Birchall meets Al Breadwinner feat. Vin Gordon“ betitelt wurde.
Nat Birchall schrieb auf der Rückseite von „Sounds Almighty“, dass das Album „den großen jamaikanischen Künstlern gewidmet ist, die diese Musik ge-/erschaffen haben“ – Musiker wie z.B. der Posaunist Vin Gordon. Birchall wollte Vin Gordon bereits für Aufnahmen eines seiner Jazz-Alben gewinnen, bisher leider ohne Erfolg. Das zeigt, welche Hochachtung Birchall diesem Künstler und dem Genre Reggae entgegenbringt, was auch in jedem Ton des Albums zu hören und spüren ist. „Sounds Almighty“ mache ihn sehr stolz! Das Album wurde selbst von (Jazz)Kritikern mit großer Begeisterung aufgenommen und gefeiert.
Diese Anerkennung wird nun dem Reggae-Veteranen Vin Gordon von Nat Birchall & Al Breadwinner erneut zuteil, denn die beiden haben gemeinsam Vin Gordon’s neues Album “African Shores” produziert. Die selbe Band wie bei „Sounds Almighty“ (minus dem Gasttrompeter KT Lowry) spielte jetzt in weniger als 24 Stunden „Vin Gordon – African Shores“ ein.
Was wir zu hören bekommen, sind zwei richtig relaxte Instrumental-Alben mit reichlich Jamaican Jazz Einflüssen, schönen Nyahbinghi Percussions à la Mystic Revelation Of Rastafari und klassischen Dub Versions à la King Tubby. Achtet auf die klassischen Nyahbinghi-Drums sowohl bei “African Shores” als auch “Sounds Almigthy”.”African Shores” ist wie sein Pendant ein sehr schöne, qualitativ hochwertiges Album geworden, das all denen gefallen wird, die bereits “Soul Almighty” zu schätzen wissen/wussten.
Auch “African Shores” wurde wieder mit Tape und analogem Equipment eingespielt, so wie wir das schon einige Jahre von Al Breadwinner gewohnt sind. Vin Gordon’s „African Shores“ wird meines Erachtens eine ähnliche Begeisterung hervorrufen wie „Sounds Almighty“. Rootsige Riddims, schöne Horn-Sections, schwere Bass-Lines und Drums sowie richtig gute klassische Dub-Versions. Es herrscht eine milde, schon beinahe sanftmütige, magische Stimmung. Man kann förmlich die Sonne spüren, das Sensi riechen oder den Rum schmecken, je nach persönlichen Freizeitvorlieben. Auf jedem Fall macht diese Musik richtig Laune und ist soooo geil, „dass sie selbst einer Steinkopfstatue auf den Osterinseln ein Lächeln auf das Gesicht zaubern würde“.
Je mehr ich darüber schreibe, desto bewusster wird mir, dass sowohl „Sounds Almighty“ als auch „African Shores“ eine Rückbesinnung auf die wahren/echten Roots von Ska, Rocksteady, Reggae und Dub sind! Was will Mensch mehr???
Stay tuned…
Boah, sach’ ma: warum schreibst du nicht bei uns eigene Reviews!? Einen kompetenten Rootsreggae-Fan mit Blick zu Jazz und anderen angrenzenden Genres können wir auf jeden Fall gut gebrauchen 🙂
Das Gleiche hab ich auch gedacht!
Ich kann die Begeisterung für beide Alben nur teilen! Bester Klang auf Vinyl, fette Vintage Producktionen und was mich besonders beeindruckt hat, dass es nicht so vorhersehbar bzw. -hörbar klingt. Viele überraschende Elemente, auch bei den Dub Versions. Muss wohl der Jazz Einfluss sein 🙂
Ja, das Album klingt wirklich nicht nach einem Nostalgie-Trip und ist keine Nachahmungsgeschichte, sondern klingt nach Eigenständigkeit und Originalität. Bin aber nicht in den Genuss von Vinyl gekommen, da ich es lediglich in digitaler Form gehabt habe.