Mista Savona presents “Havana Meets Kingston” (Baco Records)

Mista Savona presents
“Havana Meets Kingston”
(Baco Records – 2017)

Als Ethnologe hüpfte mein Herz vor Freude, als dieser Sampler, der kein Sampler ist, bei mir eintraf. Den lateinamerikanischen Kulturraum, Jamaika, Australien, die Schweiz und die USA in einem Projekt personell und kulturell zusammenzuführen: das ist kreativ, aber kein bisschen wahllos. Mista Savona erinnert unter starker Mithilfe von Sly & Robbie an die Entwicklung des Reggae aus dem jamaikanischen Jazz.

Auch die Salsa-Musik ist unter Einflussfaktoren des Jazz entstanden. Kubanische und andere lateinamerikanische Migranten in New York wollten im Exil “ihre” Musik hören, den Son. Das Plattenlabel FANIA kreiierte Ende der 1960er Jahre eine crémige Musik-“Soße” (spanisch: salsa) mit Blechbläser-bedingten Glanzeffekten, die Son-Rhythmus und Big Band- und Bebop-Jazz miteinander verbanden – und somit hatte die Szene der Exil-Kubaner/innen ihre “eigene” Musik eines Dritten Raums, in dem US-Großstadt-Realität (die Außenwelt) und die Sehnsucht nach der kubanischen Heimat (die Innenwelt) zusammenfließen. Weshalb das so wichtig ist und Salsa bis heute eine wichtige Musikindustrie geblieben ist, sei weiter unten erklärt.

An diese Zeit und die Wärme solcher Sounds erinnert die 2. Single von “Havana Meets Kingston”: “En Cuarto De Tula” (für Jamaika an Bord: Sly & Robbie, Turbulence; für Kuba: Maikel Ante, El Medico). Für das Album ist sie dennoch untypisch. Die gute Nachricht: Fast jeder Song wäre untypisch, denn der Beinahe-Sampler erzählt eine Story. Die zweite gute Nachricht: Alle Songs darauf sind super und brillant. Die dritte gute Nachricht: Die Qualität der Songs ist sowohl handwerklich als auch kompositorisch hochwertig – oft muss man sonst mit nur der halben Miete vorlieb nehmen. (Andererseits: drei Cover-Versionen sind der Preis!) Die vierten good news: Newcomer (wie Aza Lineage und France Nooks aus demselben “Camp”, der Lineage Family) sind ebenso ins Projekt eingewoben wie altehrwürdige, erfahrene Zeitzeugen der Musikgeschichte (Sly Dunbar & Robbie Shakespeare; Musiker des Buena Vista Social Club). Der fünfte Bonus an “Havana Meets Kingston”: Man nimmt sich Zeit: Über vier Jahre lang wurde an der Idee und Umsetzung gearbeitet. Über sieben Monate verstrichen zwischen Vorab-Single und Longplayer. Zwischen 5 und 7 Minuten lang sind mehrere Songs auf der Platte. Ein zweiter Teil kommt später, 2018. In unserer hysterischen Zeit der Verkürzungen kann das sympathisch wirken.

Sechster Pluspunkt: Visuell werden uns in einem Film die Aufnahmen und das Aufeinandertreffen einander fremder Akteure in einem Doku-Film 2018 gezeigt werden. Und siebter erfreulicher Aspekt: Insel-Feeling überträgt sich beim Hören und dennoch werden nicht ausgetretene Pfade heruntergespielt, sondern sehr individuell gebaute Kompositionen und Instrumentierungen angeboten.
Andererseits lässt sich nicht ausschließen, dass die Idee der Kuba-Jamaika-Fusion nicht schon einmal da gewesen ist, auch wenn Erinnerungsvermögen und Recherche bei mir jetzt kein Beispiel zutage fördern. Das Thema bleibt sinnfällig, denn die Kulturen auf diesen geographisch so nahen (ca. 250 km Santiago de Cuba – Montego Bay) und kleinen Inseln haben sich sehr isoliert voneinander entwickelt. Nun hat Kuba zwar durch seine politische Isolation für viele den Charme der Authentizität und des einzig Wahren und Guten, wie es Ry Cooder gerne suggeriert. Zucchero veröffentlichte vor fast auf den Tag genau fünf Jahren das holprig produzierte “La Sesión Cubana”, das leider bewies, dass er für Offbeats kein Händchen hat – so sehr ich ihn für seine italienischsprachigen Songs und seine sonstigen Experimente (z.B. den Rockabilly “X Colpa Di Chi?”) schätze. Der Sampler “Havana Cultura Mix – The Soundclash!” verpflichtete 2013 aktuelle kubanische Artists für eine Kombination aus Drum’n’Bass und traditionellen kubanischen Stilen, überträgt meiner Ansicht nach aber keinerlei Funken beim Anhören.

Danay Suárez Fernández (Kuba) und Stephen Marley nahmen dieses Jahr die gelungene Single “Integridad” auf. Sie gibt einen Hinweis, was dem Mista Savona-Album noch fehlt, nämlich ein tanzbar nach vorne gemischter fetter Bassdrum-Beat. Aber das ist wohl gewollt, denn Sly Dunbar selbst, einer der wichtigsten Schlagzeuger und Produzenten Jamaikas, hat die Percussion zu dem gesamten Album durchkomponiert. Umgekehrt fehlt dem Suárez-Marley-Duett die Gesamtklangtiefe einer üppigen Band, es ist ein 08/15-Riddim-Sound mit ein paar Bläserakzenten, ohne Instrumentalsoli. Stephen Marleys Versuch der spanischen Aussprache klingt grenzwertig. Hier auf “Havana Meets Kingston” hätte dieser Song zum Beispiel nichts verloren. Denn: Bei Mista Savona herrscht ein wirklich schöner Sound und die einzelnen Instrumente sind weit mehr als nur die Untermalung des Gesangs.

In der Einzelbewertung der Tracks würde ich außer für den Schlusssong für alle anderen Titel jeweils Note 1 oder 2 vergeben, was von uns Kritikern eine großzügige und seltene Maßnahme ist. Man kann, wenn man will und solche Musik mag, die gedankliche Vorarbeit und die Spielfreude, gute Ideen, Engagement, Schwung und Professionalität beim Hören spüren. Die Klangfarbe auf der CD ist erstklassig, wie mag sie da erst auf dem Vinyl sein?  Neben dem sehr bekannten “Chan Chan” (der Song wird dieses Jahr 30 Jahre alt) und der Single “Carnival” mit Solis & Randy Valentine, über die viel geschrieben wurde und die auch in Radio-Rotationen lief, finden sich drei “Interludes” und ein Instrumental von “Carnival” (“Carnival Horns”) auf dem Album. Die weiteren Tracks unterteilen sich in einen Jazztitel, zwei Dub-Tunes, zwei Songs, die man im Roots Revival verorten kann, einen eher traditionell kubanischen Titel, die Salsa-Single “El Cuarto De Tula” sowie das Cover “Candela” mit Salsa-Dominanz und Reggae-Gästen und ebenso die beiden Fusion-Stücke “100 Pounds of Collie” und “Vibración Positive”.

Insgesamt zeichnet sich die Song-Abfolge dadurch aus, dass hier nicht bloß hin- und hergesprungen wird, sondern alles eine runde Einheit ergibt und doch den karibischen Raum klanglich gut auslotet. Angetan hat es mir aber die Abfolge der Tracks 5, 6, 7 und 8, auf die ich den Zoom richte: bester entspannender, fließender Jazz mit Ernest Ranglin an der Gitarre -> dann ein exzellenter Ohrwurm, der immer weiter und weiter fließt, mit Leroy Sibbles (The Heptones), Cali P, Lutan Fyah und Exile Di Brave -> dann ein lockeres Bob Marley-Cover mit brillanter Instrumentierung ->> und dann modern gemachter Roots-Reggae mit einem zu entdeckenden weiblichen Talent, Aza Lineage.

Für alle Musikentdecker/innen und Rhythmus-Weltreisenden, die das Thema “Afro-Cuba” durch haben und daran übersättigt sind, bietet sich diese Platte an. Ich kann sie mir als Weihnachtsgeschenk vorstellen, weil sie so viele Musiker/innen und Ansätze vereint, dass man als Schenkender kaum etwas falsch machen kann, wenn die/der Beschenkte irgendwie weltoffen ist. Das Warme an dieser Musik passt auch gut zur Idee von Weihnachten. Für absolute Insider, die in ihrem Leben schon alles gehört haben, mag die Scheibe langweilig sein. Aber ihr Zweck kann darin bestehen, viele Menschen an Salsa, an Son, an Reggae, an Dub, an Jazz heranzuführen, die bisher nicht mit allem schon zu tun hatten – oder an alles heranzuführen, weil alles hier exzellent gespielt ist.

Weil es sich gut erschließen lässt, kommentiere ich es nicht weiter, sondern hole hier rückblickend in die Geschichte aus: Salsa ist auch heute aktuell. Reggaeton, R’n’B und Hiphop mögen jetzt kommerziell wichtigere Stile in Kuba sein. Aber Salsa ist in ihrem Ursprung eine “Struggle”-Musik. Reggaeton enthält viele Import-Elemente, holt jamaikanische, dominikanische, puertoricanische Musik und Stilistik aus Panama ins Land. R’n’B und Hiphop auf Spanisch zu singen und mit Maracas-Rasseln und Saxophonen zu veredeln, macht sie nicht unbedingt zu einem kubanischen Stil, auch wenn herausragende Vertreter wie Orishas oder die erwähnte Danay Suárez das ab und zu hinbekommen. Doch die ursprüngliche Salsa enthält viel mehr Kubanisches als all diese anderen Worldwide-Importe. Sie war eine städtische Musik von Menschen, die das sozialistische Kuba Richtung USA verlassen hatten und als Hispanics-Minderheit dort ihr Glück suchen wollten – Wirtschaftsflüchtlinge, würde Trump heute twittern, wenn er einen guten Tag hat; an schlechten Tagen fielen ihm sicher noch andere Begriffe ein.

Das heißt auch: Diese Musik hat damals an der Wende der 1960er zu den 1970er Jahren einiges vom “Black Power”-Sound, speziell vom Funk abbekommen. Sie war jazzig, sie war kraftvoll, sie diente der Selbstmotivation. Als Anfang der 1980er Jahre eine starke Auswanderungswelle aus Kuba nach Florida einsetzte, war Salsa bereits auf dem Weg in den Synthie-Pop der ´80er und wurde weichgespült. Selbst manche der “namhaften” Artists wie Rubén Blades aus Panama fühlten sich mehr der Anbiederung an US-Stars, an die Glitzerwelt des Grammy Awards und auch dem Pop-Rock großer Firmen verpflichtet. Salsa “at its best” hingegen war eine Migrations-Musik – ein Stil, der speziell Heimatlose miteinander vereinte und den Draht zwischen Leuten aus Mexiko, Kuba, Venezuela, Kolumbien, der Dominikanischen Republik und Puerto Rico in Metropolen wie Miami und New York schmiedete. Alles wurde da – verbunden durch einige Basis-Rhythmen und durch die spanische Sprache – zu einer Soße zusammengerührt, der Salsa. Leider ist das Wissen darüber unter dem Personenkult um J.Lo und aufgrund einer einseitigen Darstellung im Buena Vista Social Club-Film und durch die Länge der Zeit etwas verschüttgegangen. “Mista Savona Presents Havana Meets Kingston” kann inspirieren, die Musik der späten sechziger Jahre auszupacken und zu genießen.

Philipp Kause

www.havanameetskingston.com

About Philipp Kause

Philipp hat Musikethnologie studiert und verschiedenste Berufe in Journalismus, Marketing, Asylsozialberatung und als kaufmännischer Sachbearbeiter ausgeübt – immer jedenfalls stellt er Menschen Fragen. Er lebt zurzeit in Nürnberg, wo er die Sendung „Rastashock“ präsentiert, die seit 1988 auf Radio Z läuft.