Lee Scratch Perry „The Black Album“ (Upsetter)

Lee Scratch Perry
„The Black Album“
(Upsetter – 2018)

Vielleicht ist es gar kein Zufall, dass Lee Scratch Perry in seinem neuen Album erstens die jamaikanische urbane Legende vom Mr. Brown wieder aufgreift – einem Geist, der Nachts mit einem Sarg auf einer Karre durch die Gegend herumschleicht. Denn, einen gleichnamigen Song hat er schon mal für die Wailers 1970 gemacht, also am Anfang seiner Produzenten-Karriere und zugleich am Beginn seiner Zusammenarbeit mit den später weltberühmten Bob Marley and The Wailers. Und außerdem, ist ja auch bald sowieso Halloween.

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Für den Scratch Perry bedeutete das Zusammentun mit dem englischen Produzenten Daniel Boyle in dem Vorgängeralbum „Back On the Controls“ vor vier Jahren eine Reise in die (eigene) Vergangenheit. Und das Gleiche setzt er nun fort mit dem neuen „The Black Album“. Wieder schlossen sich die beiden in Boyles Rolling Lion Studio ein und machten da weiter, wo sie vor vier Jahren aufgehört hatten. Aber diesmal mit ein paar neuen Ansätzen und gewissen Veränderungen. Daniel Boyle’s Studio wurde noch mehr vintage als ohnehin schon. Beispielsweise mit alten Ribon Mikrofonen und noch mehr von damaligen Konsolen und Kompressoren, die die Klänge der Instrumente und Vocals noch authentischer erscheinen lassen sollten. Alles um Perrys Reise zurück in die Vergangenheit von Black Ark-Zeiten so genau wie möglich zu gestalten.

Aber im Vergleich mit dem vorhergehenden „Back On the Controls“ erscheint das neue Album etwas zugänglicher – so wie es eben möglich ist, angesichts von Perrys, nun sagen wir mal, etwas unkonventioneller Spoken Word-Technik, die schon manchen Zuhörer mehr abschreckt, als jede noch so gruselige Halloween-Geschichte. Vom Licht und Schatten ist die Rede in dem vorab veröffentlichten Text zum Album. Von dem obskuren, altgedienten Sound der Vergangenheit. Und vom Raum. Alles also vage Aussagen über einen Klang – dem berüchtigten Black Ark-Klang – der seitdem durch die Pop- und Reggae-Geschichte geistert wie der vorher erwähnte Mr. Brown durch die nächtlichen Straßen von Kingston.

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Doch wie sieht es nun wirklich mit dem neuen Album aus? Abgesehen von Perrys üblichen Selbstpreisungen und mehr oder minder geglückten Allegorien, die einem heutigen Hip-Hopper die Röte ins Gesicht treiben könnte, wirkt das neue Doppelalbum auf jeden Fall aufgeräumter als sein Vorgänger. Die Rhythmen sind bündiger und enger angespannt, die Melodien klarer sortiert. Der ausufernde Sound, die wilden Klangwirbel und die undurchdringliche, rauchige Atmosphäre von früher sind nur teilweise erhalten geblieben. Und wenn, zeigen sich diese vorwiegend in den angehängten, live gemixten Dub-Versionen.

Die Songs lassen diesmal in der Tat mehr Licht und Leichtigkeit durch. Die Gitarren, gespielt von Hughie Izachaar, haben den Funk für sich (wieder)entdeckt. Und die, mit karibischem Flair versetzten, flirrenden Keyboards, kommen viel öfter zum Einsatz. Dazu fliegen gelegentlich tanzende Melodica- und Flötenmelodien durch die Luft. Das Schlagzeug schlägt genauso stark und präzise, als sitze dahinter nicht Ed West, sondern der verstorbene Style Scott (Roots Radics, Dub Syndicate). So auch die Bässe, die nicht mehr die selbe, träge Wucht besitzen wie davor, dafür aber viel verspielter, elastischer auftreten. So hätten eventuell Black Ark-Produktionen in den Achtzigern klingen können, hätte Scratch Perry das Studio nicht davor abgefackelt. Musik also, aus einer Art von alternativer Vergangenheit, die immer noch der Wirklichkeit weit voraus zu sein scheint.

Zvjezdan Markovic

About Zvjezdan Markovic

Immer auf der Suche nach neuen und alten Sounds, hat aber auch seit über 10 Jahren die schlechte Angewohnheit, darüber zu schreiben. (E-Mail zvjezdan[at]irieites.de)