Oku Onuora „I‘ve Seen“ (Fruits Records)

Oku Onuora
„I‘ve Seen“
(Fruits Records – 2019)

Das in der Schweiz mit der Band Najavibes aufgenommene und von Thomas ‚Doctor T‘ Lautenbacher produzierte Album, fährt mit kompakten Riddims, kräftigen Beats und mächtigen Bässen auf. Mit verspielten Gitarren und weitläufigen Bläser- und Syntheinlagen, dazu mit etlichen Electro-Gimmicks und Dub-Effekten versetzt. Der legendäre Posaunist Rico Rodriguez hat seinen Teil auch beigetragen in „Fuel For Fire“, dem ersten Song überhaupt, den sie zusammen machten. Die Bläser erhallen wie die Posaunen vor Jericho und Okus alles durchdringende Stimme spiegelt den Ernst der Lage wider. Und doch ist das Album positiv und melodiös genug, um an der Schwere und Ernsthaftigkeit seiner Poesie nicht völlig zu zerbrechen.

Viele sehen ihn als Dichter, doch er betrachtet sich in erster Linie als Schriftsteller. Neben all den schillernden Figuren der jamaikanischen Musikgeschichte, nimmt Oku Onuora – was in der afrikanischen Ibo-Sprache soviel wie ‚Feuer‘ und ‚Stimme des Volkes‘ bedeutet – einen besonderen Platz ein. Denn er gilt als einer der Begründer von Dub-Poetry. Einen Subgenre der Reggae-Musik in dem Gedichte mit Musikbegleitung vorgeführt werden. Er begann damit im Knast, während er wegen Raubüberfällen eine zehnjährige Haftstrafe abgesessen hat. Es war in den Siebzigern und der junge Oku Onuora hat einen auf jamaikanischen Robin Hood gemacht in dem er von Reichen Dinge „befreite“, die die Bedürftigen brauchten.

Es gab filmreife Szenen mit Ausbrüchen und Verfolgungsjagden mit Schießereien, die er fast mit seinem Leben bezahlte. So schärfte er letztlich seine Dichtkunst hinter schwedischen Gardinen und sie bekam offenbar so gefährlich für die Behörden, dass sie sich genötigt sahen, diese immer wieder zu konfiszieren. ‚I write for the love of destruction of opression‘ – pflegte er damals zu sagen. Doch das ist lange her und heute ist Oku Onuora ein weißer, langbärtiger Siebenundsechzigjähriger, der nach jahrelanger Pause mit „I‘ve Seen“ endlich wieder ein neues Album vorlegt.

Eine Art philosophischer Predigt und politischen Statement zugleich ist sein neues Werk. Wahrheit, Kampf, Revolution, Befreiung sind im Falle von Oku Onuora nicht nur bloße Phrasen und sinnentleertes Gepose, das lediglich nur gut klingt, sondern etwas Festes, das zum Greifen und Ergreifen ist. Er ist ein handfester – und früher wohl auch handgreiflicher – Outlaw-Orator geblieben, der seine Conscious und Sufferer Versen mit Wucht inbrünstig in die Köpfe der Hörer einhämmert. Seine Mondfaszination, die er noch seit den frühen Knasttagen hegt, hat er in dem Titelsong „I‘ve Seen“, dank eines zufällig wiederentdeckten Gedichts, verarbeitet.

Es scheint, als hätte dieser alte Jäger und Sammler der Worte gerade mit dem neuen Album einen Kreis geschlossen.

Zvjezdan Markovic

About Zvjezdan Markovic

Immer auf der Suche nach neuen und alten Sounds, hat aber auch seit über 10 Jahren die schlechte Angewohnheit, darüber zu schreiben. (E-Mail zvjezdan[at]irieites.de)