Alborosie meets Roots Radics
„Dub For The Radicals“
(VP Records – 2018)
Es musste ja so kommen. Nachdem er sich schon mit King Jammy einen Dub-Clash geliefert und letztes Jahr mit den legendären Wailers zusammengetan hat, sind nun die nicht minder berühmten Roots Radics dran. Alborosie, der sich offenkundig als eine Art Nachlassverwalter des jamaikanischen Reggae sieht, sagt immer, er könne sich ohnehin eher mit den alten Reggae-Veteranen identifizieren, als mit den zeitgenössischen Kollegen. Erstens waren also die Siebziger auf der Liste, für die Marleys The Wailers symbolisch standen, die Achtziger waren jedoch die Zeit der Backing- und Studioband Roots Radics, die maßgeblich an der Entwicklung des neuen Rub-A-Dub und Dancehall Sounds beteiligt waren und die die frühere Formation The Revolutionaries weitgehend abgelöst haben.
Dieser auf tiefe Schläge, die wie aus den Lautsprechern rauszukrachen schienen, sowie auf viel Raum und massive Bässe reduzierte, nahezu spartanisch ausgerichtete Klang, sollte in den Achtzigern – Dank auch der Genialität der Produzenten wie Henry ‚Junjo‘ Lawes und Toningenieuren wie ‚Soldgie‘ Hamilton – die jamaikanischen Tanzhöllen im Sturm erobern.
In seinem neuen Album „Dub for the Radicals“ lässt Puppa Albo genau diese beatbetonte Spielart des Reggae wiederaufleben. Die Drums peitschen sich durch ein Gewirr aus Schall- und Echoeffekten. Die festen Bassgitarrenläufe preschen unverrückbar voran. Dabei schwadronieren durch das Geschehen graziöse Bläserarien, die zackigen Gitarren stürzen sich waghalsig dazwischen und die sphärischen, geisterhaften Keyboard-Einlagen sind ohnehin wie aus einer anderen Dimension.
Doch das haben wir schon alles gehabt. Was macht also genau dieses Album dann so aus? Nun, da ist vor allem die fachkundige Abgebrühtheit Alborosies. Würde man nämlich seine bodentiefen Dreadlocks durch eine kurze, nach hinten gegelte Friseur ersetzten, zusammen mit seinen dunklen Sonnenbrillen und den nach unten gezogenen Mundwinkeln, könnte man meinen, der gebürtige Sizilianer Alberto D’Ascola aka Alborosie wäre ein Akteur aus der „Der Pate“-Reihe. Verschlagen, aber kunstfertig und auch detailverliebt, schmuggelt dieses alte Schlitzohr in die Tracks verschiedene Referenzen aus der Roots Radics-Ära rein. Wie zum Beispiel in „Midnight Ravers Dub“, wo er Gregory Isaac‘s „Night Nurse“ so grandios, wie auch selbstbewusst durch den Dubwolf dreht.
Dabei lässt er uns auch im Unklaren wie das Album überhaupt zustande kam. In manchen Quellen heißt es, der Roots Radics-Bassist Errol ‚Flabba‘ Holt habe ihm unveröffentlichtes Material zur Weiterverarbeitung ausgehändigt, das noch zu Lebzeiten von Band-Schlagzeuger Style Scott entstanden sein soll. An anderen Stellen wird angedeutet, der Alborosie habe in seinem Shengen Studio alles selbst eingespielt und lediglich zusammen mit Flabba Holt abgemischt und produziert. Ohne Zweifel erinnern die Tracks hier an den typischen Roots Radics-Stil, wie die schleppenden Hardcore-Offbeats von dem verstorbenen Klasse-Schlagzeuger Style Scott. Die melodiösen Basslinien tragen durchaus die Handschrift von ‚Flabba‘ Holt und die wuchtige Gitarrenführung die des Gitarristen Eric ‚Bingy Bunny‘ Lamont. Aber so ganz sicher kann man nie sein, wie so oft in der jamaikanischen Reggae-Geschichte, wo jede Story mindestens drei Versionen hat.
Ist auch letztendlich egal. Fakt ist, dass es Albo mit „Dub for the Radicals“ geschafft hat, an die großen Roots Radics-Alben wie „Radicfaction“ oder diverse Jah Thomas-Kollabos aus den Achtzigern anzuknöpfen. Vor allem hat er die in breiten Abständen angelegten strictly drum & bass Reihen mit einer vielschichtigen Fülle von Sirenen und spacigen Sound-Tüfteleien versehen, die es in so einer Intensität bei Roots Radics nicht gab. Ständig passiert irgendetwas und man kommt fast gar nicht mehr mit! Dadurch hat er es weitgehend vermieden, reine Imitationen, sondern eigene Überarbeitung des Roots Radics-Sounds abzuliefern, die, anders als viele seiner Arbeiten, durchaus neu und sogar modern klingt. Eine Tatsache, die unserem Vintage Guy – wie Alborosie sich selbst bezeichnet – schlussendlich wahrscheinlich am Arsch vorbeigeht.
Zvjezdan Markovic
Greetings,
das neue “Alborosie Meets The Roots Radics – Dub For The Radicals” könnte auch
“Junjo Lawes meets Roots Radics & Scientist – The Lost Album” heißen.
Der Sound klingt absolut authentisch, typischer 80er slow paced dub style.
Murderer
Hey,
danke für deinen Kommentar Ras. Interessanter Vorschlag für den Albumtitel : )
Super zu wissen, dass es noch Leute gibt, die diesen typischen Sound zu schätzen wissen!
Ja, der Albo hat tatsächlich diesen 80’s Vibe hier so hingekriegt.
Ob das alles auch noch nach Junjo und Scientist klingt, ist Ansichtssache.
Jedenfalls hat Albo sich selbst, sein Stil eingebracht. Und das ist auch schon mal was.
Greetings Zvjezdan,
nicht nur “zu schätzen wissen”, sondern die Entwicklung dieses typischen slow paced Sounds, der Ende 70er/Anfang 80er Jahre von Jamaika kam, von den Wurzeln auf miterlebt und lieben gelernt hat. Es gab mal eine Zeit da haben Junjo Lawes und Linval Thompson in kürzester Zeit so viele neue Werke der Roots Radics auf den Markt geworfen, dass man dem Sound fast überdrüssig wurde und einen Teil des immensen Outputs in den Plattenläden einfach ungeachtet stehen ließ, auch weil dieser Sound fast alles dominierte. Jedoch die allerersten Werke von Scientist mit den Roots Radics, die “Tubby Sessions”, waren der absolute Hammer. Das war noch nie gehörte, unerhörte, Musik, unfassbar packend, dry and heavy. Das Entdecken neuer Musik war generell richtig spannend.
Irgendwie kann man sich das heute, wo immer und überall jede Musikart im stream verfügbar ist, nicht mehr so richtig vorstellen, aber genau so war’s.
Auch deshalb freut es mich, dass Alborosie diesen Sound fast original, wieder hingezaubert hat.
Mir jedenfalls gefällt sein neues Werk!
PS: Wenn die Angaben im Inlay stimmen, dann sind es die original Roots Radics. Es müsste sich also doch um ein “lost tape” handeln, denn ein großer Teil der aufgeführten Musiker ist leider bereits verstorben. Die Länge des Albums passt auch, länger waren die LPs der Roots Radics damals nicht.