Ostroda Reggae Festival 2021 – I & I Survive – Highlights & Fotos

Ostroda Reggae Festival

Das Motto dieses Jahres lautete “I & I Survive” und konnte die aktuelle Stimmung aufgrund der Pandemie wiedergeben. Überall wurden Festivals in diesem Sommer abgesagt und es drohte in Sachen Live-Performances wieder düster zu werden. Im kleinen Rahmen läuft es immerhin wieder an und überall da, wo es die Inzidenzen zulassen, werden mit entsprechenden Konzepten auch etwas größere Schritte gewagt – so auch in Ostroda. Letztes Jahr wurde das Festival auf kleiner Flamme mit dem Titel “Odreggaeowanie” geköchelt. Ein ganzer Tag im Amphitheater und zwei Tage auf dem Pier der kleinen, schön gelegenen Stadt in Masuren. In diesem Jahr wurden die Performances im Amphitheater auf drei Tage ausgedehnt, inklusive einer Soundsystem-Stage sowie dem Pier, auf dem auch wieder Workshops (Dancehall-Tanzen und Trommeln) veranstaltet wurden. Im Vergleich zu den vorherigen Festivals fehlte wieder das Open Air-Gelände, aber immerhin.

Zudem blieb das Lineup fast ausschließlich in polnischer Hand. Mit Johny Rockers, Dubska, Gutek, Bakshish, Vavamuffin, The Beat Rootz, Shashamane, Tabu, Paprika Korps, Habakuk sowie Mesajah & I Grades waren etliche Bands am Start, die man als aktiver Ostroda Reggae Festival-Fan schon öfter gesehen hat. Aufgrund der großen Vielfalt und Qualität der Musiker konnten sich die anwesenden Gäste aber auf viel Live-Energie freuen. Als international bekannter Künstler stand Brinsley Forde mit großer Band und seiner “Aswad Experience Show” auf der Bühne. Aus Deutschland sind Yellow Umbrella angereist.

Freitag, 9.7.21

Den Auftakt machte die noch recht junge Band Johny Rockers mit einer ordentlichen Show vor einem noch recht leeren Haus. Kraftvoller Reggae, polnische Texte und viel Energie. Die noch nicht üppig vorhandene Erfahrung merkte man allerdings einigen Beteiligten auf der Bühne an. Den wie immer wild tanzenden Security-Gards hat es allerdings durchweg gut gefallen.

Direkt nach ihnen legte die 1999 in Bydgoszcz gegründete Band Dubska eine der besten Shows des Festivals hin. Die musikalisch einwandfrei und mit viel Spielfreude aufspielende Band war ein super Backing für die beiden schönen Stimmen der Besetzung, den Sänger und Gitarristen Dymitr Czabański und Diana Rusinek.  Im Gepäck hatten sie u.a. ihr aktuelles Album “BDG Roots Rockers” mit äußerst eingängigen Songs, wie “Bramy Niebieskie” und “Z Ginącego Plemienia”.

Gutek und Bakshish, die beiden nachfolgenden Künstler bzw. Projekte, wussten ebenfalls mit den klanglich verdammt guten Gegebenheiten im Amphitheater umzugehen. Gutek bediente eher ein Publikum, das sich neben Reggae vor allem für Pop und Rock interessierte, Bakshish war etwas sphärischer unterwegs und konnte aus dem vollen schöpfen, denn immerhin wurde die Band bereits 1982 von Jarek Kowalczyk ins Leben gerufen und zählt damit zu den Veteranen der polnischen Reggae-Szene.

Den Abschluss des Abends bestritten die Herren von Vavamuffin. Mit ihrer extrem kraftvollen Mischung aus Raggamuffin, Reggae und Hip Hop gepaart mit treibenden Beats haben sie das Publikum sofort im Griff gehabt. Die 2003 in Warschau gegründete Band kann auf eine lange Karriere mit etlichen nationalen Hits zurückblicken. Wenn sie auf der Bühne stehen, ist auf jeden Fall Party angesagt – bis der Arzt kommt.

Die Eröffnung des Festivals fand allerdings schon gegen 13:30 Uhr in der “Uniwersytet Reggae” statt. Bartosz Wójcik hatte hier Brinsley Forde zu Gast, der mit seinem neuen Projekt am nächsten Tag spielte, und sprach mit ihm über seine Vergangenheit als junger Schauspieler, die ihn prägende Musik und selbstverständlich seine Zeit mit Aswad. Schön war in diesem Jahr, dass die inhaltlich interessanten Gespräche an allen drei Tagen öffentlich auf einer kleinen Extrabühne in der Nähe der Promenade stattfanden. So konnte auch ein Laufpublikum mit einbezogen werden. Zudem gab es parallel zu den Auftritten auf der großen Bühne eine “Green Stage” im Basement des Theaters. Gastgeber war das Jah Love Soundsystem aus Warschau, das mit einem mächtigen Stack einen viel zu kleinen Raum bespielte und entsprechend zum Wackeln brachte.

Samstag, 10.7.21

Am zweiten Tag des Festivals waren für mich persönlich vor allem die Auftritte ab 18 Uhr interessant. Die Musiker von Yellow Umbrella aus Dresden waren gerade auf einer kleinen Polen-Tour und kamen direkt aus Krakau nach Ostroda. 15 Jahre nach ihrem ersten Auftritt bei diesem Festival haben sie mit viel Charme, musikalischer Virtuosität und einer großen Portion Energie das Publikum schon mit den ersten Takten zum Skanken gebracht. Ska stand erwartungsgemäß ganz weit oben auf dem Programm, aber auch mit leiseren Tönen haben die “Hooligans Of Love” bestens unterhalten.

Shashamane hat sich durch und durch dem Roots Reggae verschrieben. Mit drei Sängerinnen und einem Sänger, feinen Bläsern und einer pumpenden Rhythm-Section haben sie bei ihrem Auftritt vor allem mit entspannten Grooves für eine angenehme Atmosphäre gesorgt. Eine gute Verschnaufpause mit viel Gefühl und Inhalt vor dem folgenden Topact des Abends.

Brinsley Forde muss an dieser Stelle sicher nicht groß vorgestellt werden. Mit Aswad hat er definitiv Reggaegeschichte geschrieben – und das weit über das Vereinigte Königreich hinaus. Mittlerweile lebt er in Krakau und jettet von dort in die Welt hinaus. Für die “Aswad Experience Show” wurden Top-Musiker*Innen der polnischen Szene ausgesucht, um das Projekt amtlich auf die Bühne zu bringen – in Ostroda erfolgte die Premiere. Neben Brinsley Forde standen 12 Musiker*Innen auf der Bühne  – einer Bigband vergleichbar. Großes Besteck also für einen Ritt durch die musikalische Hinterlassenschaft von Aswad – von den Roots-Anfängen bis hin zu den sehr poppigen und international extrem erfolgreichen Mainstream-Stücken “Shine” und “Don’t Turn Around”. Brinsley Forde präsentierte sich als äußerst fitter und stimmlich brillanter Entertainer, der das Publikum auf eine angenehme Art und Weise bestens im Griff hatte. Gepaart mit der musikalisch sehr versierten Performance der Band ist das Debüt auf jeden Fall gelungen. Die “Aswad Experience Show” hat sich mit allen Beteiligten hiermit für alle großen Festivals der Welt als Headliner empfohlen. Da geht auf jeden Fall noch viel!

Als Dauergast des Ostroda Reggae Festivals hat Tabu den Abschluss am Samstag gestaltet. Die extrem versierte Band steht auf kraftvollen Sound und ist seit Jahren in Polen einer der angesagtesten Acts. Mit Tracks, wie zum Beispiel “Tyle Mam” oder “Wojna Domowa”, haben sie die polnische Szene fest im Griff und so gut wie jeder Reggaefan kann die Songs Wort für Wort mitsingen. Das resultiert immer in einer frenetischen Feier – so auch an diesem Abend. Interessant ist auch, dass sie immer wieder polnische Musikeinflüsse in ihre Performance einbauen – vor allem bei den Bläsersätzen. Klasse!

Sonntag, 11.7.21

Am Sonntag stand zunächst der jährliche “Czwórka Reggae Contest” auf dem Programm. Drei sehr junge Bands – Barwy, Boleo & Follow The Riddim sowie Myasta – präsentierten ihre Musik einer kompetenten Jury und, na klar, dem anwesenden Publikum. So ein Wettbewerb macht wirklich Sinn und sollte überall vermehrt durchgeführt werden, um dem Nachwuchs eine amtliche Bühne zu geben und aktiv zu fördern. Gewonnen hat, auch aus meiner Sicht verdient, Boleo & Follow The Riddim. Gratulation!

Direkt danach hat Paprika Korps das Amphitheater mächtig gerockt. Die Band selbst beschreibt ihren Stil als “Heavy Reggae Rockers”. Nimmt man noch Dub und diverse andere Einflüsse dazu, passt das auch. “Offbeat trifft auf Rage Against The Machine” würde z.T. auch gut als Etikett passen. Jedenfalls werden bei ihnen Grenzen ausgelotet – so auch bei ihrem Auftritt in Ostroda, der für meinen Geschmack aufgrund der dargebotenen Musik um 18 Uhr viel zu früh angesetzt war. Gerade aufgrund des avantgardistischen Sounds von Paprika Korps sollte man diese Band auf jeden Fall immer mal wieder checken.

Habakuk hat das geboten, was sie schon eine halbe Ewigkeit lang tun. Direkten, etwas dreckigen und schnörkellosen Sound mit Punk-Attitüde. Zack zack…. eingängig und gut. Ein kompletter Kontrast zu dem Auftritt von Brinsley Forde am Abend vorher. So bunt ist die Musikwelt.

Von dem letzten Konzert des Festivals war ich persönlich sehr beeindruckt. Mesajah hatte ich zuvor schon mal gesehen – war gut, aber irgendwie fehlte für meinen Geschmack noch etwas. Der Künstler und seinen Mitstreiter*Innen sind an diesem Abend weit über sich hinaus gewachsen. Ausgereifte Musik, manchmal sogar mit Jazz-Elementen, klar formulierte Inhalte und ein Gefühl für eine abwechslungsreiche Show, die auch mit subtilen Tönen zu überzeugen wusste. Dazu die beiden Damen der I Grades, die vor allem im Wechselspiel mit Mesajah wirklich tolle Akzente gesetzt haben.

Das bringt mich zu einem ganz knappen Fazit: die polnische Reggae-Szene lebt! Ein Hinhören lohnt sich auf jeden Fall. Ein Nachahmen für Festivals anderswo, z.B. mit mehr inhaltlichen Angeboten oder einem Wettbewerb für den Nachwuchs, lohnt sich. Mehr Mut!

Text: Karsten Frehe, Fotos: Tomasz Misztal

About Karsten

Founder of the Irie Ites radio show & the Irie Ites Music label, author, art- and geography-teacher and (very rare) DJ under the name Dub Teacha. Host of the "Foward The Bass"-radio show at ByteFM.