STEP-BY-STEP Soundsystem, Hamburg

Dieses Soundsystem-Interview ist ein Teil einer Reihe. Weitere Interviews findest du fortan in unserer Kategorie Soundsystem Culture.


STEP-BY-STEP Soundsystem, Hamburg

Die Hamburger Soundsystem-Szene ist äußerst vielfältig, mächtig laut und solidarisch. Immer wieder gibt es Events, die von mehrern Crews gestaltet werden. Das SBS Soundsystem ist dabei mitten drin. Die Crew organisiert u.a. die Sound Asyl-Reihe im Nachtasyl des Thalia Theaters in der Innenstadt und lädt hierzu auch Soundsystems ein, die aus anderen Ecken des Landes kommen. Als besonderes Highlight wird es am 31. Dezember in diesem Jahr eine Sound System Conference auf Kampnagel geben, bei der neben der SBS-Crew auch I-Livity I-Fi, das Hibration Soundsystem und Solid Mojo verteten sein werden. Wir von IrieItes.de freuen uns, euch hier das Interview mit dem SBS Soundsystem zu präsentieren.

Seit wann existiert das Step-By-Step Soundsystem und wo wart ihr bislang aktiv?

Erstmal moin und vielen Dank für die Einladung! Mo startete 2016 und step by step kamen Crews und Einzelpersonen hinzu: Timo, Samuel und Marana von Fueled Fyah Sound, EchoTree, Dub Norris, FeelFX, annananda, Jullus und teichbot von YY Hi-Fi sowie Kaya Anbessa und Köhler. Aktuell sind wir 10 Leute, die alle total verschiedene Zugänge, Interessen und Perspektiven zum Thema Sound System Culture mitbringen.

Hamburg ist unsere Homebase. Bisher sind wir hauptsächlich hier aktiv, wo es eine gut vernetzte und sehr freund*innenschaftliche lokale Szene gibt. Wir freuen uns immer, gemeinsam mit anderen Crews aus der Ecke Dances auf die Beine zu stellen, z. B. Soli Veranstaltungen in der Roten Flora oder der Sauerkrautfabrik. Im Nachtasyl hosten wir zudem das Sound Asyl, eine Veranstaltungsreihe, zu der wir andere Crews mit ihrem Sound einladen. Mit dabei waren zum Beispiel Wobadub, Rootsplague, Lion’s Den, Basskateers und Roots Descendents.

Wo bzw. wie seid ihr das erste Mal mit dem Thema Soundsystem in Berührung gekommen?

In unserer Crew sind die Wege, die uns zu Sound System geführt haben, sehr vielfältig. Das Big Rig Festival in Münster, die Rootsbase auf der Fusion, I-Livity I-Fi in der Flora, Rootsplague im Triptichon und beim Reggae Jam sind ein paar der Veranstaltungen, bei denen einige von uns das erste Mal Reggae durch ein Sound System zu spüren bekommen haben. Für einzelne war das auch der erste Berührungspunkt mit Sound System Culture an sich. Andere wiederum sind durch ihr Interesse an Dub und Reggae schon im Vorfeld mit dem Thema in Berührung gekommen. Ein Mitglied hat früher zum Beispiel viel musikalischen Input vom Vater eines Freundes bekommen, der ihn zum Auflegen inspiriert hat – hier fiel der Begriff Sound System häufig.

Haben euch spezielle Events oder andere Soundsystems dazu inspiriert, ein eigenes System in Angriff zu nehmen?

Ja – bei einigen auf jeden Fall! Hier sind wieder I-Livity I-Fi zu nennen. Durch eine Flora Session ca. 2008 oder auch durch den Mad Professor Gig auf ihrem Sound war es um einzelne von uns geschehen und die Inspiration dazu gegeben, was Eigenes auf die Beine zu stellen. Generell haben die ersten Sound-System-Session-Erlebnisse mit allen von uns etwas gemacht. Danach gab es kein Zurück mehr – und irgendwie schien ein eigener Sound machbar zu sein. Wobei fehlende Ressourcen aller Art kein zu unterschätzender Faktor waren und den Traum für einige erst einmal ausgebremst haben. In dem ein oder anderen Keller hatten sich schon Komponenten angesammelt, aber erst als Mo dazu eingeladen hat, Teil von Step-By-Step zu werden, wurde das Vorhaben so richtig realisierbar.

Was begeistert euch an der Soundsystem-Kultur?

Das ist eine ziemlich große und gute Frage. Wahrscheinlich ist allen Leser*Innen bewusst, dass das, was wir tun, sich letztendlich auf die jamaikanische, afrodiasporische Sound System Culture zurückbezieht. Was uns einzeln daran begeistert, ist teilweise sehr unterschiedlich, aber überschneidet sich auch. Auf jeden Fall ist es schwer, das für so viele Personen zu formulieren.

Erstmal ist da unsere Liebe zu Reggae. Reggae ist aus sich heraus sehr politisch, message music, sufferers music. Die ganze Entstehung und Praxis der jamaikanischen Sound System Culture ist politisch. Uns interessieren die Ursprünge und die Entwicklung von Reggae, Dub und Sound System, auch in Zusammenhang mit den Kämpfen, die geführt wurden und werden, der Weg, den diese Musiken und verschiedensten Styles bis heute gemacht haben – überhaupt die disruptiven Praktiken in Dub Music… das Produzieren für den Sound, das Dubben an sich, die Gestaltungsparameter der Sound System Culture – die Themen und unsere Begeisterung sind unendlich groß und vielfältig.

Auf jeden Fall begeistert uns Sound System und Sound System Culture als Sprachrohr und Vehikel des Upliftings, als Raum des Austauschs, der Reflektion und des gegenseitigen Empowerments. Eine Sound System Session ist auch heute in unserer sehr weißen Szene Plattform, verschiedene uns wichtige Inhalte, wie soziopolitische Themen und Kämpfe, in den Raum zu geben, hörbar (und spürbar) zu machen. Das ist ein sehr wichtiger Dreh- und Angelpunkt für uns.

Dazu kommt das ganze Selbermachen, das sich durch die Organisation von Veranstaltungen bis hin zur Ausgestaltung des Sounds selbst zieht. Das autonome und gemeinsame Verwirklichen an sich sowie die Möglichkeit, den eigenen Sound nach eigenen Vorlieben wachsen zu lassen und verändern zu können, inklusive technischer Nerdereien. Und natürlich die Community, der Zusammenhalt und gegenseitige Support, den wir immer wieder erfahren dürfen, ohne den die Sessions gar nicht machbar wären. An dieser Stelle großen Dank! Mit anderen Menschen in geteilter Leidenschaft vor dem Sound zusammenzukommen. In unity!

Warum habt ihr überhaupt ein Soundsystem gebaut und nutzt nicht einfach Standard-PA-Komponenten in Clubs?

Neben all den genannten Aspekten aus der letzten Antwort sind wir uns bei einem alle einig: Who feels it, knows it!

Habt ihr bei euren Selections Vorlieben? Welche Musik ist bei euren Dances zu hören?

Da gibt es bei uns eine sehr große Bandbreite an Styles – aus unserer Crew legen acht Personen auf und alle haben ihre ganz eigenen Vorlieben. Es kommt ganz darauf an, wer wann spielt und wie die jeweilige Stimmung ist. Bei vielen von uns geht allerdings nichts über den Roots und Dub der 70s und 80s! Ob forward oder deep und meditativ; es gibt aber auch aktuellere Roots-Produktionen zu hören und den Sound der 90s. SBS steht aber auch für UK und France Steppers, Dub Techno und genrefluide Produktionen. Die Styles des Auflegens an sich variieren sehr. Ein paar von uns haben einen ziemlich ruffen Operator Style, nutzen nur einen Turntable und gehen total darin auf, die Produktionen, die sie mitgebracht haben, live zu dubben, während andere wiederum nur eine Siren brauchen. Manche planen ihre Selections im Vorfeld durch, andere schleppen immer 200 Platten mit…..

Gibt es besondere Künstler*Innen, Produzent*Innen oder Labels, die ihr besonders mögt und dementsprechend auch häufiger spielt?

Um das elegant zu beantworten, ist das Genre und unsere Crew zu vielfältig. Manche von uns haben nur Produktionen in der Tasche, für die sie brennen, und wissen gar nicht, wo sie da anfangen sollten. Zumal viele Artists untereinander miteinander überall am Start waren und sind…

Hier gibt’s aber eine kleine Liste von ein paar favourites (in no particular order): High Note, Black Art, Technique, Orchid, Cry Tuff, Sip A Cup, Black Roots, Negus Roots, Fire House, Rootical, D.E.B. Music, Youth Promotion, Disciples, Woodland Records, Humble Dubplates, Soon Come … Wir sind auch sehr dankbar für Repress-Labels wie Roots Vibration, was wiederum andere spannende (hier zu weit führende) Themen mit sich bringt. Sly & Robbie, Fatman, Jah Shaka, Black Skin The Prophet, Linton Kwesi Johnson, Prince Alla, Burning Spear, Earl 16, Martin Campbell, Yabby You, Daweh Cogo, Augustus Pablo, Don Carlos, Horace Andy, Scientist… Ich glaub, wir könnten da ewig weitermachen.

Es gab bei euren bisherigen Veranstaltungen schon etliche Gäste. Vor allem bei der „Sound Asyl“-Reihe, die ihr im schönen Nachtasyl unterm Dach des Thalia Theaters in Hamburg veranstaltet. Welche Gäste würdet ihr als Highlights bezeichnen?

Es ist jedes Mal wieder ein Highlight! Jede Session hatte was Besonderes, wahrscheinlich liegt es auch an den Vibes der Location. Das Nachtasyl Team empfängt uns immer mit offenen Armen und ist einfach klasse!

Wir sind super happy über jeden Sound, der uns bisher bereichert hat, aber besonders freuen wir uns über die angereisten Systems. Es ist immer wieder schön, die ersten Tunes zu hören und nach der Feineinstellung den Vergleich hören zu können. Die Dynamik der Crews zu beobachten und wie die verschiedenen Gruppen ihre Aufgaben aufteilen, ist auch immer sehr interessant. Der soziale Aspekt, Austausch, das gemeinsame Zeitverbringen und neue Beziehungen zu knüpfen, ist immer wieder total inspirierend. Schön ist natürlich auch, dass eigentlich immer Künstler*Innen aus der Umgebung dabei sind, die Instrumente mitbringen oder als MC am Start sind.

Das Betreiben eines Soundsystems hat neben der Musik viel mit Technik zu tun. Stellt bitte eure aktuelle Hardware für die technisch interessierten Leser*Innen vor.

Wir haben klassische 5 Wege; hier einmal von unten nach oben: Von unseren sechs Scoops stammen vier aus der DDR. Diese hat Mo 2017 bei einem Herren abgeholt, welcher früher Diskotheken betrieben hat. Ein paar Jahre später hat er dann die anderen zwei nachgebaut. Bestückt sind sie mit den Precision Devices 184. Die Leser*Innen, die sich nun denken, “die sind aber nicht fürs Horn gedacht”, laden wir gerne zum nächsten Dance ein – z. B. zum Jahreswechsel. Befeuert werden die Scoops mit drei Proline 3000.

Bei den Kicks setzen wir aktuell auf den Klassiker: 6 x HD15 mit Eminence Kappa LF an einer Proline 2700. Im Kick-Bereich ist also noch Platz nach oben. Die Mitten-Hörner sind mit verschiedenen 12ern von Precision Devices bestückt und hängen an zwei Palladium 900. Im Höhen-Bereich findet ihr unsere Grinsebacken. Als Horn hätten wir da vier mal das Emilar eh800 Horn mit Beyma CP-350 Treibern. Als Tweeter nutzen wir acht Monarch mhd 300rd. Unser Höhen-Bereich hängt an einer TA1050 und einer Palladium 500. Unser Mixer ist von Dynacord. 16 Kanäle, viele Sends. Dazu kommen noch diverse Effektgeräte, die ganz nach Belieben mitgebracht werden: Sirens, Delays und ein Spring Tank.

Alleine schon logistisch ist ein Soundsystem herausfordernd. Wer macht bei euch was? Wer legt auf, wer macht die Flyer, wer baut auf etc.?

Unsere Visuals hat bisher @teichbot gemacht. Orgamäßig teilen wir grundsätzlich alles, was anfällt, je nach Kapazitäten. Bei anstehenden Sessions versuchen wir immer ein Auf- und ein Abbau-Team zu bilden, wobei Timo immer beim Aufbau am Start ist, um den Sound einzustellen, und mindestens ein weiterer Technik-Nerd zum Kabeln. Ansonsten helfen alle da, wo sie gerade können und möchten. Je nach Interesse kommunizieren einzelne mit Gästen, schrauben in der Werkstatt, tüfteln Technik oder machen andere wichtige Sachen wie Finanzen oder Plakatieraktionen. Eine richtig feste Aufgabenverteilung gibt es bei uns nicht, die Interessen und Kapazitäten verändern sich stetig, einige von uns haben Familien.

Welche Visionen habt ihr für euer Soundsystem?

Wir haben viel vor! Wir würden voll gerne wieder außerhalb Hamburgs aufbauen. Gerne auch im Rahmen eines Festivals, da hören wir uns alle um. Generell möchten wir für den nächsten Sommer etwas mobiler sein, was Outdoor Sessions angeht. Außerdem suchen wir nach einer richtigen Homebase, in der unser Sound aufgebaut stehen kann, wo Platz zum Bauen, Connecten, Musikmachen und vielleicht auch für kleine Sessions ist… Das ist in Hamburg leider gar nicht so einfach und ziemlich teuer. Technisch sollte sich natürlich auch immer was bewegen: Amps, Kabel, mehr Boxen! Ich höre hier Stimmen nach 12 weiteren Scoops rufen. :^ )

Am 31.12.22 gibt es auf Kampnagel in Hamburg ein Soundsystem-Event der Extraklasse. Neben euch sind die Hibration Crew, I-Livity I-Fi sowie Solid Mojo mit komplettem Stack und Crew anwesend. Wie kam es zu der umwerfenden Idee, zum Jahreswechsel eine „Hamburger Sound System Conference“ zu veranstalten und was erwartet die hoffentlich zahlreich erscheinenden Gäste?

Eine Conference in der Dimension – mit vier Sounds – gab es in Hamburg noch nie!

An dieser Stelle Big Up an den Sound-Enthusiasten, der das alles angestoßen hat! Was Conference Sessions angeht, ist das größte Problem erstmal die Platzfrage – der Wille ist da, aber in den gängigen Locations in dieser Dimension gar nicht umsetzbar; da bekommen wir maximal zwei Sounds rein. Dazu kommt natürlich die ganze Power, die in so eine große Veranstaltung und den Ablauf fließt. Es braucht eine ganze Menge helfender Hände, wenn alles selbst gemacht wird.

Wie es jetzt dazu kam, dass es doch in dieser Dimension verwirklicht wird, ist eine sehr schöne Geschichte. Im Mai müsste es gewesen sein, da hatte Lichtlars die Idee. Nach einer der ersten Partys ohne Corona-Auflagen hatte er einen Traum von der Conference – war quasi schon da. Er hat ein paar Leuten davon erzählt, wie verrückt der Traum war und es gab direkt Interesse daran, das Realität werden zu lassen. Also wurden Hebel in Bewegung gesetzt. Da er mit der Hibration Crew ziemlich verbandelt ist, fragte er direkt bei der nächsten Session im Café Knallhart nach, was sie von der Idee hielten. Kampnagel, wo er arbeitet, war zum Glück auch recht schnell OK damit, uns die Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Und so fing es an. Nachdem die Idee so im Raum stand, war es ein paar Monate recht still.

Jetzt haben wir uns alle zusammengefunden und die Umsetzung läuft – wir freuen uns alle riesig auf diese heavyweight Unity Conference – a night full ob vibes! Die Session geht um 20 Uhr los und es lohnt sich, früh am Start zu sein! Wie der genaue Ablauf sein wird und was die anderen Sounds planen, können wir noch nicht verraten. Wir freuen uns jedenfalls, dass uns unser Freund I-Rebel am Mic unterstützen wird. Ach – wir sind außerdem dabei, eine Schlafplatzbörse zu starten. Kommt vorbei, bring your friends and don’t forget your dancing shoes!

Interview: IrieItes-Crew/Karsten Frehe (12/2022)

About Karsten

Founder of the Irie Ites radio show & the Irie Ites Music label, author, art- and geography-teacher and (very rare) DJ under the name Dub Teacha. Host of the "Foward The Bass"-radio show at ByteFM.