Lee “Scratch” Perry
“Heavy Rain”
(On-U Sound – 2019)
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet einer der meist gefeierten Dub-Produzenten, eigentlich ein verhinderter Sänger ist, dessen Gesangskünste nicht mal an das Mittelmaß heranreichen. Nicht umsonst hatte ihn schon der legendäre Produzent Duke Reid Ende der 50er mangels Talent abgewiesen. Dass aber das Gesungene für den Rainford Hugh Perry, besser bekannt als Lee ‚Scratch‘ Perry, mindestens genauso wichtig ist, wie die Musik, beweist auch die Tatsache, dass er den größten Teil seiner sechzig Jahre währenden Karriere nicht hinterm Mischpult, wie zu den glorreichen Black Ark-Zeiten, sondern am Mikrofon selbst verbracht und das Musik- und Abmisch-Ding lieber anderen überlassen hat. Mit mehr schlechten als guten Ergebnissen.
Eine Zusammenarbeit aber, die herausragt, ist die mit dem englischen Produzenten Adrian Sherwood. Schon Ende der 80er haben sich die beiden auf dem Album „Time X Boom De Devil“ von Dub Syndicate zusammengefunden. Das Stück „Mindworker“ hier aus dem neuen Album erinnert sehr an diesen ersten Zusammenprall zweier Dub-Giganten. Weit ausholende Beats und bombenfeste Basslines fügen sich hier, wie damals, zu einem hypnotisierenden, aber auch sehr präzisen Groove.
Sherwoods Geheimnis lag unter anderem immer darin, dass er Lee Perrys Gesangsdrang zähmen und, so gut es eben geht, unter Kontrolle halten konnte. Dadurch wurden auch Lee Perrys Lyrics gleichzeitig zugänglicher, auch wenn sie immer noch für jemanden, der gerade nicht auf einem LSD-Trip ist, schwer verständlich sind, wenn überhaupt.
Gott, Sex, Magie, Politik, Gut und Böse werden von Perry in einen Topf geworfen, aus dem er schlussendlich einen Zaubertrank anfertigt, dass reinhaut wie pures Ayahuasca. Als wäre das ohnehin nicht genug, zaubert sein Counterpart Adrian Sherwood in diesem Dub-Nachfolger von „Rainford“ ein mindestens genauso verrücktes Album, wie es in Perrys Kopf selbst wahrscheinlich gerade zugeht. Durch wirre Instrumentenspiele wie das Einführen von Streichern in „Above and Beyond“, einem der zwei neu hinzugefügten Songs, oder mit zwei schräg gegeneinander verlaufenden Beats in kurzem „Hooligan Hank“, ist es so, als würde Sherwood klanglich Perrys Gedanken wiedergeben wollen. Und uns ermöglichen, Perrys schriller Andersartigkeit direkt ins Gesicht zu blicken.
Erstaunlicherweise gelingt ihm das auch mit dicken Bläser-Parts von Vin Gordon in „Rattling Bones and Crowns“, dem fast tanzbaren Stück „Here Come the Warm Dreads“ mit Brian Eno (Dub von „Makumba Rock“) oder mit einer funkigen Gitarre in „Enlightend“.
Durch Verlagerung der Schwerpunkte erzeugt Sherwood einen verzerrten Raum-Klang-Effekt. Und durch abgedrehte Echos und Delays überlistet er gekonnt unser Zeitgefühl. Die Melodica in „Space Craft“ heult wie aus einem imaginären Sergio Leone-Western, begleitet von einem, dem Zerbrechen nahen, Rhythmus und viel verdrehten Sound-Schnick-Schnack. Während Lee Perry in „Dreams Come True“ den Merlin und Buddha mit geisterhaften Gitarren- und Klaviersequenzen wieder herbei beschwört. Oder wie in einer schamanistischen Trance das Geld verteufelt (‚ugly money, ugly money‘).
Aber was auch immer das Album „Heavy Rain“ sein mag und sein möchte, eins ist es in keiner Sekunde seiner Dauer: gewöhnlich, vorhersehbar oder gar langweilig. Dafür umso verrückter und ausgefallener.
Zvjezdan Markovic
erscheint am 06.12.2019